16.8.05

Kleinverlage und ihre Nemesis (Teil 2)

Man stelle sich folgende Szene vor: Ein junger Mann sitzt alleine in einem etwas schäbig wirkenden Raum vor einem alten Computer. Die Wände sind voller Bücher mit bunten Covern. Der junge Mann ist Student, er hat keine Freundin und immer noch Pickel im Gesicht, Freunde kann er auch an einer Hand abzählen. Er studiert eine weitgehend brotlose Kunst, hat ständig Geldsorgen und seit drei Tagen nicht mehr geduscht. Aber er hat ja eines: seinen schriftstellerischen Genius. Eines Tages wird sein Name in großen Lettern auf einem wirklich großen Roman stehen. Dann wird sein Leben wieder einen Sinn haben. Und er setzt sich vor seinen alten Computer und schreibt eine Story, Science Fiction natürlich, denn was anderes außer Eskapismus soll ihm auch bleiben…

Das bin ich, das heißt: ich vor etwa 15-20 Jahren. Glücklicherweise gab es damals noch viele Fanzines, so dass die Tatsache, dass ich größtenteils schlechte Kurzgeschichten schrieb, niemandem wirklich weh tat. Sie wurden veröffentlicht, sicher, aber dann eben doch in Publikationen, bei denen man einen zumindest schwankenden Qualitätsstandard gewohnt war. Heute ist das leider schwieriger, und wenn ich mir vorstelle, ich wäre dieser junge Mann in seinem schäbigen Raum im Jahre 2005, dann graust es mir bereits vor mir selbst: Ich hätte meine Storys dann nämlich bei Kleinverlagen veröffentlicht, und es hätte wahrscheinlich genug gegeben, die sie auch genommen hätten, mich gar, oh Abgrund des Entsetzens, zu einem Roman animiert, jenes Werk mit den großen Lettern… nein, ich mag gar nicht daran denken.
Muss es aber.
Das hängt wesentlich damit zusammen, dass die von mir im ersten Teil dieses Traktats erwähnte niedrige Schmerzgrenze vieler Kleinverleger exakt solche Menschen dazu ermuntert, sich nicht nur massiv selbst zu überschätzen, sondern sie in ihrer Ignoranz, ihrem Selbstbetrug oder ihrer Naivität auch noch bestärken. Ein weiser Mann hat einmal in einer Diskussion gesagt, viele Kleinverleger füllen heute die Nische, die früher Fanzines inne hatten. Ich habe verzweifelt nach einem Argument dagegen gesucht, habe aber dann die Waffen gestreckt, denn es ist ja so. Das wäre auch nicht so schlimm, wenn es nicht einen wesentlichen Unterschied gäbe: Die Publikationsform im gebundenen Buch mit Farbcover und ISBN postuliert einen gewissen Anspruch, ein Anspruch, den Fanzines – im Regelfalle – nicht für sich reklamiert haben. Und so werden Autoren als Autoren publiziert, für die diese Bezeichnung zumindest schmeichelhaft sein dürfte. Menschen, die oft über nicht genug Selbstachtung oder Einsicht verfügen, um auch solche Verlage zu vermeiden, die nur als windig bezeichnet werden können, da sie in der Illusion leben, eine Veröffentlichung um jeden Preis werde ihre „schriftstellerische Karriere“ befördern. Menschen, die sich wochenlang damit abquälen, Hunderte (!) von gefälschten Stimmabgaben in der Nominierungsrunde des „Deutschen Phantastik Preises“ abzugeben, um ja auf die Nominierungsliste zu kommen (und dann auch noch so naiv sind anzunehmen, das würde ein einigermaßen in diesen Dingen erfahrenes Organisationsteam nicht merken). Menschen, die von keinem Lektor und keinem Redakteur mehr gesagt bekommen, was für einen Mist sie schreiben, und vom Verleger schon gar nicht, sei es aus Unkenntnis, Ignoranz oder weil man sich damit einen Bewunderer vergraulen würde (welche Ausmaße solche Psychospielchen haben können, durfte ich im letzten Jahr in Bezug auf einen speziellen Genre-Kleinverlag aufzudecken helfen). Leute, die selbst dann, wenn ihnen wiederholt aus durchaus berufenem Munde mitgeteilt wird, dass sie Mist schreiben, dies als persönlichen Angriff werten oder schlicht dermaßen von sich überzeugt sind, dass sie nicht zu akzeptieren in der Lage sind, dass sie etwas an sich ändern müssen und sie möglicherweise kein verkanntes Genie sind.
Das müssen übrigens keine pickligen Twens in schäbigen Zimmern sein. Man wundert sich manchmal, wie viele Menschen kein Leben haben, obgleich sie diesem Klischee nicht entsprechen.
Von dieser Sorte Autoren gibt es leider viel zu viele. Früher, ich erwähnte es, landeten sie in Fanzines und das tat niemandem weh. Nur jene mit einem Funken Talent oder hart erarbeitetem guten Handwerk schafften es, „richtige“ Romane zu veröffentlichen. Die ganz Fanatischen rannten zu einem DKZ-Verlag und ließen sich ihre Selbstüberschätzung einiges kosten. Heute gibt es Verleger, die sie veröffentlichen und einen Dreck um Qualität scheren – und diese Autoren dabei in ihrem unrealistischen Selbstbild nur noch bestärken. Diese Art von Autoren tragen dazu bei, dass die Schmerzgrenze für ein „Daumen runter!“ noch weiter ins Bodenlose gesunken ist, als es für eine kompetitive Kleinverlagsszene gut sein kann.

Natürlich bleibt am Ende eine Frage: Wie hält es denn Dirk van den Boom? Ich bin von alledem nicht frei. Ich war sogar mal genau so, eine veritable Gefahr für meine literarisch interessierte Umwelt. Ich bekomme immer noch regelmäßig Schüsse vor den Bug, erst in diesem Jahr wieder, und da hat es mächtig gekracht. Glücklicherweise habe ich mittlerweile gemerkt, dass ich auch abgesehen davon noch ein Leben habe, glücklicherweise habe ich auch bemerkt, dass das Chancen zum Akzeptieren und Lernen sind, auch bezüglich der eigenen Grenzen. Ich bin lockerer mir gegenüber geworden, jedoch erkennbar ungeduldiger gegenüber jenen, die so waren wie ich, aber jetzt in einer Position sind, ihre Komplexe und Halluzinationen über das, was sie sind und wollen, in „richtigen Büchern“ verpackt auf die Welt loszulassen und damit all jene Kleinverlagsautoren, die hart an sich arbeiten, hart mit sich ins Gericht gehen und den Schüssen, die sie vor den Bug bekommen, nicht auszuweichen bereit sind, mit in die Lächerlichkeit ziehen.

Im dritten Teil geht es um Leser und Kritiker, deren absonderliches Verhalten bei mir mitunter ausgesprochen großes Erstaunen hervorruft.

3 Comments:

Anonymous Anonym said...

Hallo, Dirk!

Das meiste von diesem Text kann ich nur abnicken. Lediglich der Eindruck, daß die Kleinverlage als solche über einen Kamm geschoren werden, erzeugt in mir ein diffuses Unwohlgefühl. Aber damit muß ich wohl leben.

Gruß aus Aachen
Peter

10:14 AM  
Anonymous Anonym said...

Genau so funktioniert die Szene und das ist doch schon wieder tragikkomisch...
Ich frag mich nur, wann hier der erste Kommentar auftaucht, in dem Du als Nestbeschmutzer beschimpft wirst ;-).

Beste Grüße aus Berlin

Thomas

8:13 AM  
Anonymous Anonym said...

Klasse geschrieben, Dirk.

Alles Gute,

--Oliver (aus einem Internet-Café)

5:55 PM  

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